Herr Kutschera hat meinen Leserbrief in seinem Buch Streitpunkt Evolution zitiert und kommentiert. Dabei hat er interessanterweise folgende Passagen weggelassen:
Insbesondere arglose Biologiestudenten sollten vor solch verderblichem Einfluss sorgfältig abgeschottet werden.
Mein Vorschlag für einen zweiten Schritt wäre deshalb: Man sollte auf alle Wissenschaftler dergestalt einwirken, dass sie keine unangenehmen Fragen mehr stellen. Schließlich widerspricht eigenständiges Denken dem Geist jedes Dogmas. Stellt doch mal jemand unvorsichtigerweise einen Mechanismus der Evolution in Frage, wird es wohl genügen, wenn wir ihn gemeinschaftlich als wissenschaftsfeindlichen Kreationisten beschimpfen. Das wird ihn sicherlich heilen. Wenn nicht, sollte man ihn darauf aufmerksam machen, dass alle ernst zu nehmenden Wissenschaftler an die Evolution glauben. Das Argument zieht immer!
Herr Kutschera schreibt: „Die ID-Theorie erklärt alles und somit nichts“. Deshalb ist die Evolutionstheorie unbedingt vorzuziehen, da man mit ihr nichts erklärt und somit alles.
Selbstverständlich ist mein Leserbeitrag ironisch gemeint. Dennoch entspricht die dort vorgeschlagene Vorgehensweise tragischerweise der Realität. Ich habe den Leserbrief so formuliert, dass man den Eindruck gewinnt, Herr Kutschera würde all meine unfairen Vorschläge in die Tat umsetzen – natürlich tat er das schon vor der Veröffentlichung meines Briefes. Herr Kutschera hat meinen Leserbrief daher wohl kaum mit Humor auffassen können (Realsatiere ist für die Betroffenen nun mal nicht komisch) und kommentierte meinen Leserbrief wie folgt (ich gebe seinen Kommentar vollständig wieder):
Der Autor dieser Zeilen benutzt Begriffe aus der NS-Zeit, der Stalin-Ära und der dunkelsten Phasen der katholischen Kirche, um meine Anfrage an das MPIZ Köln als „Publikationsverbot“ umzudeuten.
Genau an diese dunklen Phasen der Menschheitsgeschichte muss ich denken, wenn ich Herrn Kutscheras Aktionen gegen Evolutionskritiker mitverfolge. Ging es denn wirklich nur um eine „Anfrage“ an das MPIZ Köln? Nachdem die verantwortlichen Personen des Max-Planck-Instituts sich geweigert hatten, Herrn Dr. Lönnigs wissenschaftliche Arbeiten vom Server zu löschen, nur weil sie der weltanschaulichen Position eines oder mehrerer anderer Wissenschaftler nicht passten, reagierte Herr Kutschera gemäß seinen eigenen Ausführungen in seinem Buch Streitpunkt Evolution wie folgt: „Nach Diskussion dieses Antwortschreibens im Kreise Deutscher [sic!] Biologen [Der Leser erfährt nicht, um wen es sich handelt] rief ich Anfang April 2002 Herrn H. Saedler [Max-Planck-Institut] an und teilte ihm mit, dass wir [Kutschera spricht von sich offenbar im Plural] eine Billigung der Verbreitung pseudowissenschaftlicher Thesen „im Namen von Max Planck“ nicht akzeptieren werden. […] Wir werden daher leider unsere Aktivitäten gegen […] ihren Mitarbeiter Lönnig etc. fortführen müssen. Es tut mir leid, dass ich [er findet zum Singular zurück] Ihnen diese Schwierigkeiten bereiten werde. Es geht jedoch um die Naturwissenschaft Biologie und deren Aufrechterhaltung in Deutschland.“ (S.187).
Danach erfährt der Leser von Herrn Kutscheras Vorstoß bei der Zeitschrift Nature und wie dann die Homepage von Dr. Lönnig gesperrt wurde. „Erst die Intervention des „High-Impact“-Journals Nature zeigte entsprechende Wirkung.“, triumphiert Herr Kutschera.
Wenn man sich überlegt, was Herr Kutschera alles angestellt hat, damit die Publikation der wissenschaftlichen Arbeiten des Genetikers Lönnig auf einer wissenschaftlichen Plattform verboten wird, fällt es mir sehr schwer, nicht von einem „Publikationsverbot“ zu sprechen – schließlich war es ja ein Publikationsverbot, welches Herr Kutschera nach eigener Darstellung von Anfang an angestrebt hat. Das ganze als „Anfrage“ herunterzuspielen, wird der Vehemenz, mit der Herr Kutschera die wissenschaftliche Arbeit eines Fachkollegen bekämpft, wohl kaum gerecht.
Mein Vermerk, dass Herr Lönnig selbstverständlich als Privatperson seine Meinung über „Gott und die Welt“ verbreiten kann, wird ignoriert.
Ich habe die riesige Internet-Library von Dr. Lönnig fast vollständig gelesen. Über Gott erfährt man da nichts. Über Evolutionsforschung eine ganze Menge. Die Annahme, dass Darwinismus auf mikroevolutive Veränderungen wunderbar anwendbar ist, jedoch nicht die Existenz gänzlich neuartiger Strukturen und Funktionen erklären kann (Makroevolution), ist weder eine religiöse Behauptung, noch ist sie pseudowissenschaftlich. Es ist nicht das Ergebnis biblischer Offenbarung oder die religiöse Überzeugung fundamentalistischer Fanatiker, wie Kutschera zu behaupten nicht müde wird, sondern eine wissenschaftliche Herausforderung an eine Theorie. Würde die Behauptung, dass Mutation und Selektion keine Erzeugung gänzlich neuer Strukturen und Funktionen zu erklären vermag, nicht stimmen, hätten Wissenschaftler aus aller Welt sie bereits tausendfach widerlegen können. Aber genau das ist der Knackpunkt: Eine Theorie, die man dadurch aufrecht erhalten will, dass man jede widersprechende Erklärung erstickt, ist keine Theorie, sondern ein Dogma.
Auf der MPIZ-Homepage wurde nicht „ein Mechanismus der Evolution in Frage gestellt“, sondern die Öffentlichkeit durch Verdrehung von Fakten und religiöse Glaubensinhalte versätzlich getäuscht.
Herr Lönnig hat keine Fakten verdreht, sondern Fakten präsentiert. Religiöse Glaubensinhalte wird Herr Kutschera auf Herrn Lönnigs Homepage nicht finden, es sei denn Herr Kutschera hält bereits die Überzeugung, das Geist vor Materie vorhanden war, statt umgekehrt, für eine religiöse Überzeugung. Dann aber wäre der Materialismus (Materie vor Geist) ebenfalls eine religiöse Überzeugung und man müsste alle Beiträge zum Thema Evolution auf allen wissenschaftlichen Plattformen verbieten müssen. Wenn die Aussage, ein intelligentes Wesen sei für die Konzeption des Lebens verantwortlich, eine religiöse Aussage sein soll, dann trifft das auch auf die Aussage zu, ein intelligentes Wesen sei nicht dafür verantwortlich.
Begriffe wie „gemeingefährlich“ usw. habe ich nicht benutzt.
Der Leser konsultiere Herrn Kutscheras eigene Aussagen: Evolutionskritik muss bekämpft werden, da sie „eine ernst zu nehmende Gefahr für den Wissens- und Wirtschaftsstandort Deutschland“ sei (Streitpunkt Evolution S.288). „Wird ein derartiger Erosionsprozess der naturalistischen Basis aller Naturforschungen nicht aufgehalten, so sind gravierende Konsequenzen – bis hin zum Rückfall in mittelalterlichen Aberglauben – zu befürchten“ (S.155). „Wird dieser metaphysische Glaubenssatz [gemeint ist ID] einmal zum Lehrstoff, kann „bei Nacht und Nebel“ der Kreationismus ausgepackt und verbreitet werden.“ (S.199). Wenn Herr Kutschera die Intelligent-Design-Theorie nicht für eine Gefahr für die Allgemeinheit halte würde, warum setzt er dann alle Hebel in Bewegung, um diese Theorie mit allen noch so wissenschaftsfeindlichen Mitteln zu bekämpfen?
Der Briefschreiber scheint, wie auch der weiter unten zitierte Autor, ein Glaubensbruder von Herrn Lönnig zu sein: er argumentiert im gleichen Stil wie der MPIZ-Mitarbeiter.
Herr Kutschera muss es genießen, wenn er immer und immer wieder auf das Motivationsthema ausweicht, statt sich mit den Sachargumenten auseinander zu setzen. Aber wenn es um die Verteidigung wissenschaftlicher Fakten geht, solidarisiere ich mich gerne mit allen Menschen, denen es gelingt, sich auf einer sachlichen Ebene über die Ursprungsfrage auszutauschen – der religiöse Hintergrund ist für mich dabei nicht von Belang und Herr Lönnig bildet da keine Ausnahme. Nicht solidarisieren kann ich mich allerdings mit denjenigen, die durch Vorentscheidung nicht in der Lage sind, erkenntnisoffen zu forschen – diejenigen, die schon vorher wissen, dass kein intelligentes Wesen an der Entstehung des Lebens beteiligt gewesen sein kann, und daher nur noch in eine vorgeschriebene Richtung forschen dürfen, statt sich alle Erklärungsmodelle offen zu halten.
In Anbetracht der Vorgehensweise von Ulrich Kutschera, zu der ich ihn in der weggelassenen Passage meines Leserbriefes ironisch ermuntert habe, sollte deutlich werden, warum Herr Kutschera meinen Leserbrief nicht vollständig zitiert hat.